Kritik der Bodenwertsteuer: Nicht durchdacht, nicht mehrheitsfähig

Ist die “Bodenwertsteuer” eine Überlegung wert? Hält sie Kritik stand? Erfüllt sie die 3 Hauptkriterien ökonomischer / politischer Ideen und ist problemlösend, umsetzbar und mehrheitsfähig? Ist sie ein Kandidat für ein weiteres Modul unseres “Economic Balance System“?

Wir laden Sie ein, darüber nachzudenken und mit uns darüber zu diskutieren (entweder auf unserer Facebook-Seite, in unserer Facebook-Gruppe, oder per Email). Denken wir einmal darüber nach. Hier finden Sie mehr Infos über das Modell:

Das zu lösende Problem der Bodenwertsteuer

Die Bodenwertsteuer stammt von Henry George aus dem Jahr 1879. Ökonomen wie Norbert Häring (u.a. Redakteur beim Handelsblatt) und Prof. Löhr haben die Idee aufgegriffen und versuchen, sie weiter zu entwickeln.

Das zu lösende Problem: Durch Bodenspekulationen findet eine gewaltige Umverteilung von Immobilienkäufern und Mietern an Spekulanten statt. Die Spekulation und das lange Halten von Baugrund soll bekämpft werden. Norbert Häring schrieb dazu:

“Was aufgrund unvollständiger Statistik als Wohlstandsgewinn daherkommt, ist in Wahrheit nur Umverteilung. Die höheren Grundstückwerte werden registriert. Die höheren Kosten für die Mieter und Pächter jedoch nicht. So entsteht die Illusion, die Gesellschaft sei reicher geworden, wenn ein Teil von ihr von einem anderen Teil mehr für die Nutzung der vorhandenen Grundstücke bekommt. …
Das Hauptgeschäft der Banken ist heute nicht mehr, Unternehmen Kredite für produktive Investitionen zu geben, sondern das Hypothekenkreditgeschäft, überwiegend mit privaten Haushalten. Zum weitaus größten Teil geht es dabei um die Finanzierung des Kaufs des Grundstücks und bereits gebauter Häuser. Da Grundstücke, anders als Maschinen und Anlagen, nicht vermehrbar sind, bedeutet der zunehmende Geldstrom in diesen Markt in Form von Hypothekenkrediten, dass die Preise nach oben getrieben werden. Das ist ein Problem, wenn es dazu beiträgt, die Bodennutzung für Haushalte und Unternehmen teurer zu machen.”

Thilo Schäfer vom Institut der Deutschen Wirtschaft schreibt in seinem Kurzbericht Nr. 58 vom 12.09.2016: “So müssen Investoren, die durch einen Ausbau den Wert ihrer Gebäude erhöhen, mehr Steuern bezahlen. Investitionen in den Bestand droht eine Strafsteuer. Gleiches gilt für den Neubau: Wer sein Grundstück bebaut, zahlt mehr Steuern. Unbebaute Grundstücke können bei einer derart ausgestalteten Steuer relativ kostengünstig zu Spekulationszwecken gehalten werden. Dies stellt speziell in angespannten Wohnungsmärkten ein großes Problem dar.”

Die Grundidee der Bodenwertsteuer

Die Bodenwertsteuer tritt an die Stelle der Grundsteuer. Gebäude werden nicht besteuert. Besteuert wird ausschließlich der Boden, und zwar nach der Formel “Bodenrichtwert multipliziert mit der Quadratmeterzahl”.

Je höher die Steuer ist, desto höher werden die Verluste derer, die Baugrundstücke besitzen, ohne sie zu bebauen. Investitionen in Gebäude und deren Werthaltigkeit, Wohnflächen etc. werden nicht besteuert und sollen daher die Gesamtbelastung der Immobilie möglichst gering halten.

Hört sich gut an. Wo ist der Haken?

Gerechtigkeit?

Die Vertreter des Modells argumentieren mit Gerechtigkeit: Grundstücke sind vor allem dann wertvoll, wenn Bund, Länder und Gemeinden drumherum eine Infrastruktur geschaffen haben, wie Straßennetz, Anschluss an öffentliche Verkehrsmittel, Schulen, etc. Was sie dabei übersehen: Über “Straßenausbaubeitragssatzungen” verlangen die Gemeinden teilweise 6-stellige Beträge von Anwohnern sanierter Straßen (mehr in der Facebook Gruppe “Lindenstraßen”). Auch an den Erschließungskosten sind die Bauherren beteiligt. Ihre Steuern fließen nur deshalb an das Bundesland oder die Kommune, weil sie in dessen Grenzen gebaut haben und wohnen. Mit ihren Konsumausgaben finanzieren sie die lokale Wirtschaft. Einwohner sind nicht nur ein Kostenfaktor – sie bringen auch Geld.

Ein Rechenbeispiel

Leider bleiben die Vertreter der Idee konkrete Zahlen schuldig. Konstruieren wir ein Beispiel: Grundstücke in mittleren Lagen von Großstädten kosten heute durchschnittlich locker 1.000 € pro Quadratmeter (in München bis zu 7.000 €, in Ostdeutschland 3-stellig). Nehmen wir an, ein 200 m²-Grundstück kostet 200.000 €, und ein 35-jähriges Käufer-Ehepaar will darauf ein Haus bauen, es 30 Jahre lang abbezahlen und bis zum Lebensende darin wohnen. Nehmen wir typischerweise an, dass der Mann 85 und die Frau 92 Jahre alt wird. Das wäre eine 57-jährige Nutzungsdauer, in der Jahr für Jahr eine Bodenwertsteuer bezahlt werden muss. Wie hoch kann dann diese Steuer sein, so dass die Eigentümer sie sich leisten können? Nehmen wir zunächst an, dass die Steuer parallel zum Einkommen steigt. Dann wären Inflation und Kaufkraftentwicklung auch schon berücksichtigt.

Nehmen wir nun an, es wären 1,50 € pro Quadratmeter und Monat, also 300 € im Monat für ein 200 m²-Grundstück. Das ist für eine Familie mit 1 Kind und mittlerem Einkommen lt. Einkommensteuerstatistik des Statistischen Bundesamts ein Drittel des verfügbaren Einkommens (nach Abzug der Kredittilgung und Zinsen für die Immobilie). Für die Witwe wird es unfinanzierbar: Oma verliert ihr Häuschen. Eine solche Belastung ist nicht mehrheitsfähig.

Nehmen wir trotzdem an, es wäre mehrheitsfähig und würde Realität. Dann summieren sich 300 € x 12 Monate x 57 Jahre auf 205.200 € – also mehr, als das Grundstück wert ist. Auf diese Zwickmühle angesprochen entgegnen Vertreter des Modells, die Steuer könne bis zum Verkauf gestundet werden. Damit wäre sie allerdings wirkungslos.

Nun stellt sich die Frage: Welchen Einfluss hat die Bodenwertsteuer auf den Kaufpreis? Wird er sinken, wenn der Käufer weiß, dass weitere 200.000 € Steuern auf das Grundstück zu kommen? Die Vertreter des Modells argumentieren, dass die Käufer nicht bereit seien, zusätzlich zum Kaufpreis ebenso hohe Steuern für das Grundstück zu zahlen. Daher würde der Kaufpreis entsprechend sinken. In diesem Fall gegen Null. Wirklich? Wer verschenkt Grundstücke?

Was sie auch nicht bedenken: Käufer haben keine solche Verhandlungsposition. Immobilienpreise steigen aus ganz anderen Gründen. Teilweise durch Investoren, die ihr Kapital (direkt, oder indirekt über Fonds) in Mietobjekte investieren. Und schließlich steigen die Preise, weil die Käufer in der heutigen Versteigerungs-artigen Marktsituaition hohe Preise zahlen müssen, wenn sie überhaupt etwas erhalten wollen. Es herrschen ein Unterangebot und eine extrem hohe Nachfrage nach Immobilien. Wer nicht reich erbt oder nicht extrem gut verdient, hat keine Chance auf ein Haus oder eine familientaugliche Eigentumswohnung in halbwegs guter Lage.

Vorläufige Bewertung der Idee: Eine Zwickmühle

Auf den ersten Blick ist die Idee interessant. Um sie wirklich bewerten zu können, bräuchte man konkrete Zahlen – und die bleiben alle Vertreter der Idee leider schuldig. Ob die Idee umsetzbar und mehrheitsfähig ist, hängt von dieser Frage ab.

Vertreter der Idee sprechen von einer Übergangsphase, ohne Prozentzahlen oder Jahre zu nennen. In den ersten Jahren werden X % des Steuerwerts fähig, und nach Y Jahren sollen Z % jährlich gezahlt werden. Welche Zahlen stehen für X, Y und Z?

Die Bodenwertsteuer betrifft vor allen Eigentümer von Einfamilienhäusern. Die Vertreter der Idee unterstellen, dass diese automatisch hohe Einkommen haben – was jedoch oft nicht zutrifft. Die 35 Millionen Baugrundstücke / bebauten Grundstücke in Deutschland sind höchst unterschiedlich verteilt. Mehrere Millionen Rentner leben in Häusern, die sie nach jahrzehntelangem Sparen mühsam abbezahlt haben. Die Rente reicht gerade eben zur Deckung der Betriebskosten und Abgaben. Sofern die Steuer so hoch ist, dass sie wirkt, können die meisten Rentner ihr Häuschen nicht halten. Das ist gelinde gesagt nicht mehrheitsfähig, was die Idee zur Utopie macht.

Wir bezweifeln, dass es einen Ausweg aus der Zwickmühle gibt:

  • Entweder ist die Steuer so hoch, dass sie wirkt. Dann kann sie sich fast niemand leisten, und sie wird mangels Mehrheitsfähigkeit nie Realität.
  • Oder sie ist so niedrig, dass sie sich jeder leisten kann (kleiner gleich heutige Grundsteuer) und sie mehrheitsfähig ist. Dann bewirkt sie nichts.

Handtuch-Grundstücke und das Verschwinden von Gärten

Zu den vorhersehbaren – und auch von den Befürwortern beabsichtigten – Konsequenzen gehört eine noch stärkere Verdichtung. Dass ungenutzte Baugrundstücke hoch besteuert werden, ist völlig richtig. Aber was passiert, wenn Fläche hoch besteuert wird? Etwas Ähnliches, was in Holland passierte, als Häuser nach Breite besteuert wurden (dort wurden Häuser dann halt schmal und hoch gebaut): Grundstücke werden schrumpfen. Kinder spielen in Gärten in Handtuchgröße – sofern es überhaupt noch Gärten gibt.

Grundstücke werden geteilt und mit zusätzlichen Gebäuden vollgebaut. Neue Häuser werden höher gebaut. Reihenhäuser gehen in die Vertikale. Doppelhaushälften stehen künftig übereinander statt nebeneinander. Bestandshäuser werden aufgestockt.

Betroffen sind auch Mieter. Wie bei der heutigen Grundsteuer legen die Vermieter die neue Steuer einfach über die Nebenkosten auf die Mieter um. Würde diese Umlage verboten, würden sie einfach die Kaltmiete entsprechend erhöhen.

bodenwertsteuer wirkung

Generationswechsel in Refrath: Sehr teure Neubauten auf Minigrundstücken, Häuser von Rentnern auf größeren Grundstücken, Fläche wird zunehmend zum Luxus

Fläche wird noch mehr zum Luxus der Upper Class

Große Grundstücke werden für die Mittelschicht unerschwinglich. Die Upper Class juckt auch keine hohe Steuer. Die Bodenwertsteuer reißt die Gesellschaft auch bei Grundstücken und Gärten auseinander, und die Wut der Mittelschicht auf die Politik gefährdet das, was man Demokratie nennt.

Gentrifizierung

Wir empfehlen den Vertretern der Bodenwertsteuer eine Reise nach Manhattan, Hongkong, Tokyo oder Singapur. Je teurer Boden ist (sei es nun durch Spekulanten oder den Staat), desto größer ist der Anreiz zur Gentrifizierung. Wer die Steuer nicht bezahlen kann, muss an “Investoren” verkaufen. Diese errichten an gleicher Stelle Hochhäuser für Besserverdiener, um den maximalen Profit aus der Immobilie zu ziehen. Nicht zuletzt, um damit die Steuer zahlen zu können. Die Steuer treibt also die Preise und die Gentrifizierung / Luxussanierungen voran. Bezahlbarer Wohnraum entsteht so nicht.

Stattdessen verschärften sich Probleme wie Armutsghettos, die soziale Entmischung der Stadtviertel die Flucht der Mittelschicht aus den Städten mit entsprechend stärkerem Pendlerverkehr, usw.

Klageflut beim Bodenrichtwert

Die Vertreter des Modells wollen eine einfache, unbürokratische Umsetzung, indem sie alle 35 Mio. Grundstücke mit ihrem Bodenrichtwert mal Quadratmeter besteuern.

Wer legt nach welchen Kriterien den Bodenrichtwert fest? Es gibt zu viele subjektive und nicht messbare Faktoren für den Wert einer Lage. Horror-Nachbarn in ansonsten bester Lage bedeuten einen geringeren Wert als ein Grundstück in schlechterer Lage mit netter Nachbarschaft. Eine nahe Bahnlinie kann für den Bahnpendler Gold wert und für den Rentner eine nutzlose Lärmquelle sein. Die Nähe zu Flughäfen, Autobahnen, Chemieindustrie oder Großveranstaltungsplätzen ist für die einen Gold wert und für die anderen eine Last. Eine sonnige Lage ist es nicht mehr, wenn Bäume wachsen und Schatten werfen. Die Nähe zu Schulen und Kindergärten ist wichtig, wenn man Kinder hat, und irrelevant, wenn man keine hat. Parkplätze sind irrelevant, wenn man kein Auto hat, usw.

Es ist also absehbar, dass es Millionen von Klagen geben wird, bei denen jeder Eigentümer oder Mieter versuchen wird, den Bodenrichtwert nach unten zu definieren. Und zwar nach jedem Eigentümerwechsel aufs Neue.

Das Ziel anders erreichen

Die Bodenwertsteuer doktert am Symptom herum – dem Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Die Lösung des Problems ist offensichtlich: In Ballungsgebieten müssen viel mehr und größere, familiengerechte, bezahlbare Wohnungen gebaut werden.

Die Frage ist: Wer soll das bezahlen? economy4mankind bietet eine problemlösende, umsetzbare und mehrheitsfähige Alternative:

  • Massiver öffentlicher Wohnungsbau hochklassiger Wohnungen zum Selbstkostenpreis in Regionen mit Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Finanziert durch die gewaltigen Überschüssen der “Budget Balance System“.
  • Viel höhere Kaufkraft aller Haushalte durch das “Arbeitsmarkt Balance System“.
  • Kappung zu hoher Vermögen und Begrenzung von Vermietungs-Eigentum durch “Vermögensbeschränkungen“.

Hinzu kommen Konzepte, die nicht von uns stammen, aber das Problem verringern, zum Beispiel Erbpacht: Ab einem Zeitpunkt X (sagen wir: 2040, damit die Mehrheitsfähigkeit größer ist) ist kein Erwerb von Grund mehr möglich. Der gesamte Boden gehört ab dann der jeweiligen Kommune. Man kann ihn nur noch (extrem günstig) pachten.

In die gleiche Richtung wie Pacht zielt die Idee des “Freilands” von Silvio Gesell, die jedoch einen großen Schwachpunkt hat. Zitat aus Wikipedia: “Die Höhe der Abgabe sollte je nach Begehrtheit des betreffenden Grundstücks bemessen sein und kann zum Beispiel in einer Versteigerung von Nutzungsrechten als Höchstgebot ermittelt werden. Damit wäre die Höhe der Nutzungsabgabe entsprechend marktwirtschaftlichen Prinzipien durch Angebot und Nachfrage bestimmt.

Schwachpunkt dabei: Nur die Kapitalstärksten gelangen an begehrte Lagen, und der hohe Preis wird auf Produkte oder Mieter umgelegt. Mit der Bevorzugung der “Großgeldbesitzer” (wie Gesell sie nennt) widerspricht sich die Idee des Freilands selbst. Demokratisch, gerecht und gemeinnützig wäre es, wenn gelost wird, sofern mehrere Interessenten dasselbe Grundstück nutzen wollen.

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