Das Märchen vom Direktkandidaten als Volksvertreter

In jedem Wahlkampf buhlen Gesichter auf Plakaten um unsere Wählergunst. Was wollen uns diese Gesichter sagen? „Wähle mich! Ich bin gaaanz anders als die anderen. Bzw. ich will in der nächsten Legislaturperiode alles gaaanz viel besser machen als ich es bisher unterlassen habe. Ganz ehrlich.“

Wer sind diese Leute? Was wollen sie? Und: Spielt das überhaupt eine Rolle, wenn man bedenkt, daß der Fraktionszwang sie ohnehin zu machtlosen Marionetten der Partei- und Fraktionschefs macht? Exemplarisch empfehle ich zu diesem Thema das Buch „Wir Abnicker“ von SPD-MdB Marco Bülow.

Parteien haben einen üblen Ruf – im Falle unserer 6 Regierungsparteien (die AfD ist die übelste von allen) zweifellos zu Recht. Um Parteien zu entmachten, wird daher immer mal wieder der Ruf nach Parlamenten laut, die aus reinen Direktkandidaten ihrer Wahlkreise bestehen. Echte „Volksvertreter“. Das klingt zunächst charmant. Das „Willi-Weise-Projekt“ nennt es auf seiner Homepage „eine Methode, um die Macht der Parteien zu brechen“.

Stimmt das? Löst man damit das Problem, oder ersetzt man im Sinne von Dietrich Dörners „Die Logik des Misslingens“ lediglich ein Problem durch ein anderes?

Fakten: Statistik ernüchternder Erfolglosigkeit

Betrachten wir zunächst die bisherigen Wahlergebnisse von Erststimmen/Direktkandidaten. Ich habe die Wahlergebnisse in der Bundesrepublik seit 1961 zusammengetragen – also seit sich die Parteienlandschaft nach dem Krieg „sortiert“ hat. Dies sind die Fakten:

  • Erfolgreiche parteilose Direktkandidaten seit 1961: Null
  • Erfolgreiche Direktkandidaten von Kleinparteien seit 1961: Null
  • Direktmandate der Grünen bundesweit seit ihrer Gründung: 3 x je 1 (2005, 2009 und 2013, Sonderfall Hans-Christian Ströbele in Berlin-Prenzlauer Berg)
  • Direktmandate der FDP bundesweit seit 1961: 1 (in Halle 1990 – ein einmaliger Irrtum uninformierter Wähler nach der Wiedervereinigung)

Betrachten wir die letzte Bundestagswahl 2009:

  • Erfolgreiche Direktkandidaten in Bayern, die nicht der CSU angehören: Null
  • Erfolgreiche Direktkandidaten in Sachsen, die nicht der CDU angehören: Null
  • Erfolgreiche Direktkandidaten im Saarland, die nicht der CDU angehören: Null
  • Erfolgreiche Direktkandidaten in Rheinland-Pfalz, die nicht der CDU angehören: 2
  • Erfolgreiche Direktkandidaten in Baden-Württemberg, die nicht der CDU angehören: 1
  • Erfolgreiche Direktkandidaten der CDU in Bremen: Null
  • Erfolgreiche Direktkandidaten der CDU in Brandenburg: 1
  • Erfolgreiche Direktkandidaten der SPD in Bayern: Null
  • Erfolgreiche Direktkandidaten der SPD in Baden-Württemberg: 1
  • Erfolgreiche Direktkandidaten der SPD im Saarland: Null
  • Erfolgreiche Direktkandidaten der SPD in Mecklenburg-Vorpommern: Null
  • Erfolgreiche Direktkandidaten der SPD in Sachsen-Anhalt: Null
  • Erfolgreiche Direktkandidaten der SPD in Sachsen: Null
  • Erfolgreiche Direktkandidaten der SPD in Thüringen: Null
  • Erfolgreiche Direktkandidaten der Linken in Westdeutschland: Null
  • Direktmandate gesamt von SPD-Kandidaten in 4 von 5 ostdeutschen Ländern: Null
  • Direktmandate der Grünen bundesweit: 1 (Sonderfall Ströbele in Berlin – Prenzlauer Berg)

Ganz offensichtlich sind die Menschen hinter den Direktkandidaturen für die Wähler irrelevant. Erststimmen werden fast ausschließlich nach Parteizugehörigkeit vergeben. In Bayern würden auch Hühner zu Abgeordneten, wenn sie für die CSU kandidieren würden. Und für die die Grünen, die Linkspartei oder die FDP müssten schon Loriot, Otto Waalkes, Günter Jauch oder Hape Kerkeling kandidieren, um in Westdeutschland Direktmandate zu gewinnen.

USA: Parlament der Millionäre

Wer würde gewinnen, wenn nur noch Direktwahlen möglich wären? Das läßt sich z.B. in den USA studieren: Diejenigen mit dem größten Wahlkampfbudget. Geld regiert im wahrsten Sinne des Wortes die Welt. Mit der Einführung von Direktwahlen hätten wir im Bundestag eine Mischung aus unabhängigen Millionären und lobbyabhängigen Marionetten. Wer will das?

Nicht alle Parteien sind das Übel, sondern die Korruption und die ratlosen Programme der Regierungsparteien. Daher sind alle Wähler aufgefordert, sich auf Basis der Programme eine fundierte Meinung zu bilden, und bei Regierungsparteien vor allem auf die bisherigen Handlungen statt auf die Versprechungen zu schauen.