Froschkoch des Monats Mai 2017 ist “Zukunftsforscher” Horst Opaschowski gemeinsam mit David Böcking von Spiegel Online. Böcking (ein Dauerkandidat für diesen Preis) veröffentlichte kritiklos Opaschowskis “Studie”, in der er behauptete:

“Jeder zweite Deutsche fühlt sich besonders wohlhabend.”

Als Froschköche bezeichnen wir diejenigen, die dafür sorgen, dass der Status Quo erhalten bleibt und Alternativen verhindert werden. (mehr über diesen Preis)

Die “Sieger”-“Studie”

Laut selbst ernanntem “Nationalen Wohlstandsindex” des Markt- und Meinungsforschungsinstituts Ipsos stieg die Zahl der Bundesbürger, die sich als “besonders wohlhabend” einschätzen, angeblich auf 49 %. Ein mittleres Wohlstandsniveau bescheinigen sich angeblich knapp 35 %. Nur 16 % stufen sich angeblich als nicht wohlhabend ein.

Altersarmut sei “kein zu verallgemeinerndes Thema der Gegenwart”. Nur 15 % der Bevölkerung ab 65 Jahren stuften sich auf der unteren Wohlstandsskala ein, 51 % dagegen ganz oben.

42 % sagen “mit Bestimmtheit”, dass sie keine Angst vor der Zukunft haben.

Machen wir einen kleinen Faktencheck über “Armut in Deutschland“:

  • Die Hälfte aller Haushalte verfügt über keinerlei nennenswertes Vermögen (wenn man alte Gebrauchtwagen und eine bescheidene Möblierung einer Wohnung nicht als “Vermögen” definiert).
  • 7,3 Mio. Bürger sind überschuldet/bankrott.
  • Das Statistische Bundesamt stellte in seiner aktuellen Einkommensteuerstatistik (Fachserie 14, Reihe 7.1.1., Tabelle 3 vom 22.09.2015) fest, daß die Brutto-Einkommen pro Gesamthaushalt (!) (also ohne Rentner und Arbeitslose) bei 26.924.837 steuerpflichtigen Erwerbstätigen 2011 wie folgt verteilt waren:
    • 30,5% aller erwerbstätigen Haushalte hatten ein Monats-Einkommen unter 1.167 € brutto. Rechnet man das in Nettoeinkommen um, lebt rd. ein Drittel aller Erwerbstätigen Haushalte auf Hartz IV-Niveau.
    • 40% aller erwerbstätigen Haushalte hatten ein Monats-Einkommen unter 2.083 € brutto.
    • 49% aller erwerbstätigen Haushalte hatten ein Monats-Einkommen unter 2.500 € brutto. Lt. SZ-Gehaltsrechner sind das bei einer 3-köpfigen Familie 1.882 € netto. Abzüglich Wohnkosten in einer Großstadt bleiben einer 3-köpfigen Familie aus der unteren Einkommenshälfte der Erwerbstätigen pro Person maximal 330 € pro Monat zum Leben.
  • Laut Rentenversicherungsbericht 2015 des Deutschen Bundestags (Drucksache 18/6870, Seite 13) erhielten die Rentner in Deutschland 2013 durchschnittlich 1.013 € Rente, Rentnerinnen sogar nur 762 € monatlich. 2014 lag die tatsächliche Durchschnittsrente bei rd. 869 €. Durchschnittliche Rentnerinnen sind Sozialfälle, die oft auf die Unterstützung ihrer Kinder angewiesen sind und aus Scham das ihnen zustehende Sozialgeld nur sehr selten in Anspruch nehmen.
  • Laut IAB (untersteht dem Bundesarbeitsministerium) liegt die tatsächliche Zahl der Menschen mit Anspruch auf Hartz IV etwa um die Hälfte höher als die der Hartz IV-Bezieher. Eigentlich liegt die Zahl der Hartz IV-Berechtigten bei 10-12 Mio. Menschen. Hauptmotiv für den Verzicht ist (die von den Medien produzierte) Scham.
  • Lt. Sparkassenverband befindet sich über die Hälfte der Konten aller Arbeitnehmer im Minus.
  • Von 2,3 Mio. Solo-Selbständigen verdient rd. ein Drittel weniger als 1.100 € im Monat (Quelle: SWR Doku „Harte Arbeit, schlechter Lohn“, April 2017)

(mehr über die tatsächliche Armutsstatistik)

Die Statistik echter, belastbarer Daten widerspricht also völlig dem angeblichen Ergebnis der “Studie”.

Umfragen auf dem Golfplatz?

Man kennt das schon von den realitätsfremden Umfragen von “Gesellschaft für Konsumforschung” (GfK) & Co: Da werden Daten als “Konsumklima-Index” und andere Indizes zum angeblichen Einkommen und Vermögen der Bürger verbreitet, und alle reiben sich die Augen: Wie kann das sein?

Finden solche Umfragen auf Glofplätzen statt? Anders ist eine solche Abweichung von der Realität üblicherweise nicht zu erklären. Bei dieser “Studie” kommt allerdings ein zweiter Faktor hinzu, der sowohl die Befragten als auch die Leser manipuliert:

Manipulation durch Definition

Wenn die finanzielle Situation der großen Mehrheit der Bürger (und unzufriedenen Wähler) kurz vor der Bundestagswahl zu schlecht ist, um damit den bisherigen Kurs der Regierung zu stützen, kann man Wohlstand einfach umdefinieren.

“Forscher” Opaschowskis meint dazu: “Es geht um eine erweiterte Messung von Wohlstand, während die Politik Wohlstand überwiegend ökonomisch definiere.”

Dazu gehört lt. “Studie” die Möglichkeit, sich “eine gute medizinische Versorgung leisten zu können”.  Auch an unserem Gesundheitssystem gibt es von zu hohen Beiträgen bis zur Abhängigkeit medizinischer Forschung von den Pharmakonzernen viel zu kritisieren. Allerdings betrachten wir die Leistungen der Krankenkassen – gerade im Vergleich zu den meisten anderen Ländern – als relativ gut. Eine selbstverständliche und für Versicherte kostenlose Leistung als Beleg zu werten, “jeder zweite Bürger fühle sich besonders wohlhabend”, ist allerdings eine offensichtliche Manipulation des Wohlstandsbegriffs.

Dafür verdienen Horst Opaschowski, Ipsos, David Böcking und Spiegel Online den “Froschkoch des Monats Mai 2017”.

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