Trend gestoppt: Lohnspreizung nicht weiter gewachsen“ meldet das Statistische Bundesamt am 14.09.2016. Regierungsnahe Medien verbreiten es ungeprüft. Tatsächlich ist die Behauptung falsch. Die Daten sind nicht repräsentativ, und der Trend ist nicht gestoppt – im Gegenteil.

Laut „Verdienststrukturerhebung“ verdiente das oberste Zehntel der Angestellten 2014 das 3,41-fache des am schlechtesten bezahlten Zehntels. Dass „der Trend gestoppt“ wäre, begründet das Statistische Bundesamt (Destatis) damit, dass der Unterschied 2010 noch beim 3,45-fachen gelegen habe.

Wie Wirtschafts-Studenten in den ersten Vorlesungen lernen, sind 0,04% Unterschied „statistisch nicht signifikant“, da solche Abweichungen innerhalb einer erwartbaren Fehlertoleranz liegen, für die Destatis selbst bis zu 2% angibt.

83 Cent weniger Unterschied? Hurra!

Lohnspreizung

Mindestlohn vs. Vorstandsgehälter

Um wieviel Euro geht es bei 0,04%? Hier kommt das nächste Märchen, das die Hobby-Statistiker vom Statistischen Bundesamt verbreiten: Laut „Verdienststrukturerhebung“ lag das Durchschnittseinkommen 2015 (aktuellste verfügbare Daten) bei 3.612 €.

Da reibt man sich verwundert die Augen: 3.612 € ist das, was im Durchschnitt herauskommt, wenn man sehr wenige extrem gut verdienende Manager mit sehr vielen Geringverdienern in einen Topf wirft. Professionelle Statistiker wissen, dass der relevante Wert nicht der Durchschnitt, sondern der Median ist. Der Median ist der mittlere Wert. Das heißt: Eine Hälfte verdient mehr, die andere weniger.

Laut per 14.09.2016 aktuellster Einkommensteuerstatistik (Fachserie 14 Reihe 7.1.1 vom 22.09.2015, für 2011)  lag das Median-Einkommen bei 25.040 € brutto im Jahr, also 2.087 € brutto monatlich. Und zwar nicht pro Person, sondern pro Haushalt. Das sind lt. Gehaltsrechner maximal 16.938 € jährlich bzw. maximal 1,411 € monatlich für Alleinstehende oder maximal 1.630 € für ein Ehepaar. Diese Zahlen sind echt, denn sie sind die Zusammenfassung der Steuererklärungen der Haushalte.

Wenn man also einfach nur Statistiken zum gleichen Thema vergleicht, wird deutlich, wie sich das Amt selbst widerspicht.

Amts-Jubelmeldungen im Auftrag der Bundesregierung

Die Jubelmeldung des Statistischen Bundesamtes würde also bedeuten (wenn die Daten repräsentativ wären): Die Gehaltsunterschiede zwischen den obersten 10% und den untersten 10% sind bei 0,04% um 83 Cent gesunken. Wer das als „gestoppten Trend“ bezeichnet, ist ein Regierungssprecher. Das Statistische Bundesamt ist übrigens dem Bundesinnenminister unterstellt. Was erklärt, warum Pressemitteilungen des Amts auch von Steffen Seibert geschrieben sein könnten.

Über 1/3 aller Arbeitnehmer in Deutschland hat Jobs unter Existenzminimum

Von rd. 42 Millionen Erwerbstätigen waren nur rd. 27 Millionen steuerpflichtig. Das heißt im Umkehrschluss: 15 von 42 Mio. oder über ein Drittel aller Erwerbstätigen in Deutschland hat Jobs, die so mies bezahlt werden, dass sie nicht besteuert werden. Denn die Regierungsparteien besteuern alles oberhalb des Existenzminimums („Grundfreibetrag“).

Über ein Drittel aller Erwerbstätigen hatte also ein Einkommen von maximal monatlich 667 € (Alleinstehende) bzw. 1.334 € (Ehepaar) oder 1.698 € (Familie mit Kind).

Die Fehlerquellen

Die “Verdienststrukturerhebung” vom April 2014, auf der diese Jubel-Statistik basiert, hat folgende Fehlerquellen:

  • 97,7% aller Beschäftigungsverhältnisse wurden nicht erfasst.
  • Firmenwagen und sonstige typischen Vergünstigungen für Spitzenverdiener wurden nicht erfasst.
  • Saisonarbeitskräfte (die fast immer sehr wenig verdienen) wurden nicht erfasst.
  • Beschäftigte in Betrieben unter 10 Angestellten (die die niedrigsten Gehälter zahlen) wurden nicht erfasst.

Das wäre für Hobby-Statistiker schon zu unprofessionell. Für das Statistische Bundesamt ist es eine durchschaubare Manipulation der öffentlichen Meinung zugunsten der übergeordneten Bundesregierung.

Der Trend geht weiter

Der Arbeitsmarkt unterliegt den Mechanismen von Angebot und Nachfrage. Die Nachfrage nach Hochqualifizierten steigt, die Nachfrage nach Unqualifizierten und Geringqualifizierten sinkt durch die Hauptursachen von Arbeitslosigkeit und Niedriglohn:

  • Kostendruck
  • Rationalisierungen, Automation
  • Produktivotätssteigerungen
  • Globaler Lohnkostenwettbewerb
  • Mismatch (gute Jobs sind für Gerinqualifizierte unerreichbar)

Die Schere zwischen hohen und geringen Einkommen wird also systembedingt immer weiter steigen. Aufgabe des Statistischen Bundesamtes wäre es, mit neutralen, repräsentativen und ehrlichen Statistiken den politischen Entscheidern den Handungsdruck aufzuzeigen.