von Jörg Gastmann, erstmalig veröffentlicht am 04.07.2011 bei Bürgerstimme (bevor diese zur Putin-, Contra-Magazin und Kopp-Fanseite wurde, danach hat der Autor die Zusammenarbeit eingestellt)

Die Gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) bekämpft gemeinsam mit dem Energiekonzern RWE die Interessen ihrer Arbeitnehmer. Weil 3,75 Mrd. € Jahresgewinn nicht genug sind, werden u.a. die Löhne neuer Kantinenmitarbeiter um bis zu 40% gedrückt.

Kollaboration mit dem Gegner – warum nur?

Die Gewerkschaft Ver.di protestierte umgehend gegen dieses Lohndumping, blieb aber wie üblich erfolglos. In diesem Fall, weil die IG BCE zuständig ist, deren Vertreter Werner Bischoff erklärte, man „könne die Ver.di-Attacke nicht nachvollziehen, denn hier gehe es nur darum, angeschlagene Bereiche zu retten.“ Dazu muß man wissen, daß IG-BCE-Vertreter Werner Bischoff gleichzeitig im RWE-Aufsichtsrat sitzt. Warum vertritt die IG BCE dort nicht die Interessen aller Mitarbeiter? „Wes Brot ich ess’, des Lied ich sing?“

Gerade hinsichtlich der Kantinen würde man gern wissen, wie ein solcher Bereich angeschlagen sein kann, wie hoch der prozentuale Beitrag des Kantinen-Lohnverzichts zum Konzernprofit ist, und wo die Herrschaften essen gehen, wenn sie die Kantine schließen.

Außerdem würde man gern wissen, warum sich die Gewerkschaften – die fast die Hälfte der Aufsichtsräte der Energiekonzerne stellen – nicht gegen die Gier und das PR-Fiasko der von ihnen beaufsichtigen Vorstände stellen, die die Bundesrepublik (und damit uns alle) wegen des Atomausstiegs auf „Schadenersatz“ verklagen. Vor allem, wenn man bedenkt, mit welcher Skrupel- und Schamlosigkeit die Energienkonzerne (und ihre Gewerkschaftsvertreter in den Aufsichtsräten) die astronomischen Kosten der Endlagerung des Atommülls der Gesellschaft über zigtausende von Generationen aufhalsen.

Die IG BCE fiel übrigens nicht nur durch ungenügendes Engagement für die Mitglieder, sondern auch durch unternehmergleiches Sparen an den eigenen Betriebsrentnern auf, denen sie z.B. von 2002-2009 die Rente um 12% kürzte. Auch diesmal war es Werner Bischoff, der sich gegen die eigenen Leute stellte, nunmehr in seiner Eigenschaft als Finanzvorstand der IG BCE. Begründung: Man verfüge nicht über genug Mittel. Die IG BCE wurde daraufhin von einem Betriebsrentner verklagt, ein geheim gehaltenes Immobilienvermögen von 1,5 Mrd. € offen zu legen und zur Finanzierung der Betriebsrenten heranzuziehen. In ihrem Verhalten als Arbeitgeber unterscheidet sich die IG BCE nicht von anderen Arbeitgebern.

Tod der Gewerkschaften durch Globalisierung

Die Macht der Gewerkschaften ist durch die Globalisierung längst kollabiert. Sie schauen ratlos zu, wenn Banken nicht tarifgebundene Tochtergesellschaften gründen, um die Arbeitnehmer dort wesentlich schlechter zu bezahlen, während in den Vorstandsetagen trotz Finanzkrise die Millionen-Boni explodieren. Sie können nicht verhindern, daß die Unternehmen Gewerkschaften mit höheren Tarifverträgen gegen solche mit schlechten Tarifverträgen austauschen, wie z.B. im Fall Lufthansa. Sie können nichts dagegen unternehmen, daß die Arbeitgeber den Wust von 68.000 Tarifverträgen mit einfachen Tricks umgehen. Sie müssen zuschauen, wenn Unternehmen Betriebsräte mit Abfindungen loswerden oder bei Fusionen Stellen streichen. Sie kündigen wie DGB-Chef Sommer zwar Widerstand gegen die Rente mit 67 an, lassen aber keinerlei Taten folgen. Sie kündigten 2010 einen „heißen Herbst“ an, der dann komplett ins Wasser fiel. An jedem 1. Mai hört man das ewig gleiche Lamento und die ewig gleichen Forderungen. Aber wer unterzeichnet Tarifverträge mit 3,06 € Brutto-Stundenlohn? Gewerkschaften. Beim Auseinanderreißen der Schere zwischen arm und reich haben sie komplett versagt. Gegen keine der Ursachen von Arbeitslosigkeit und Niedriglöhnen haben sie ein Konzept.

Politisch sind sie nicht von der Agenda-2010 der SPD weg zu bewegen, die gemeinsam mit den Grünen die Schleusen für Leiharbeit und Lohndumping noch stärker öffnete, als selbst die Arbeitnehmerfeinde von Union und FDP es sich jemals trauten.
Darauf angesprochen, ob sich die Gewerkschaften nicht endlich neuen Parteien und neuen Konzepten öffnen wollen, antwortete die IG Metall wörtlich: „Die Auswahl an politischen Parteien in Parlamenten (und darüber hinaus) ist groß genug, als daß sich jeder Bürger für die Partei entscheiden kann, die seinen Vorstellungen am ehesten entspricht.“

Soll man darüber lachen oder weinen? Auch mit ihrem antidemokratischen Plädoyer für eine Beibehaltung des heutigen politischen Kartells sind Gewerkschaften nicht mehr Teil der Lösung, sondern Teil des Problems.

Beispiel Großbritannien

In anderen Ländern ist die Situation nicht nennenswert anders als in Deutschland.

Die neoliberale britische Regierung will die Renten im öffentlichen Dienst (heute durchschnittlich nur rd. 715 € monatlich) sogar noch kürzen. Zudem sollen Arbeitnehmer künftig erst mit 68 in Rente gehen und bis zu 50% mehr in die Rentenkasse einzahlen. Gleichzeitig werden die Löhne durch fehlenden Inflationsausgleich gekürzt. Beschäftigte des britischen öffentlichen Dienstes streikten daraufhin und demonstrierten am 30. Juni gegen ihre Armutsrenten. Allerdings ging nur ein Bruchteil auf die Straße, weil nur vier von 29 Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes zum Streik aufriefen. Die größten Gewerkschaften wie Unison und Unite hatten sich gar nicht angeschlossen, weil sie sich von der Regierung austricksen ließen. Statt gemeinsam mit den anderen Gewerkschaften mehr zu erreichen, ließen sie sich abspalten, weil sie auf das durchschaubare Manöver der Cameron-Regierung hereinfielen, die nur mit Gewerkschaften „verhandeln“ wolle, die sich nicht an Streiks beteiligen. Auch in Großbritannien sind solche Gewerkschaften nicht mehr Teil der Lösung, sondern Teil des Problems.

Impotente Gewerkschaften werden teilweise durch Gerichte ersetzt

Alle Gewerkschaften sind impotent, überall auf der Welt. Ihre Rolle haben teilweise Gerichte übernommen, z.B. mit Urteilen gegen Lohndumping, das die Gewerkschaften nicht verhindern konnten.

Die IG Metall als Zahnarzt gegen Karies-Pille

IG Metall-Chef Huber findet es in den Medien „nicht akzeptabel“, wenn z.B. Siemens seine Buchhaltungsjobs ins billige Tschechien auslagert. Er könnte etwas dagegen unternehmen – aber er will es nicht. ecnomy4mankind-Vertreter und IG Metall-Mitglied Roland Kahl, der bei einem Technologiekonzern arbeitet, stellte ihm das Arbeitsmarkt-Konzept von economy4mankind vor, in dem Geschäfte und Beschäftigung steuerlich so verknüpft werden, daß Arbeitslosigkeit, Lohndumping, Leiharbeit etc. völlig beseitigt wären. Alle naturgemäßen Ziele der Gewerkschaften wären erreicht. IG Metall-Chef Huber reagierte wie ein Zahnarzt, dem man eine Pille vorstellt, die Karies und Parodontitis ausrotten könnte.

Wer braucht Gewerkschaften, die ihre Ziele und Mitglieder verraten?