Neoliberaler Faschismus

von Ullrich Mies, 14.07.2018

Hinter der liberalen Fassade lauert die Diktatur.

Mit dem Wegfall der Systemkonkurenz seit 1989 trat der neoliberale Kapitalismus ungehindert und mit ganzer Wucht seinen weltumspannenden Siegeszug an. Neben dem produktiven Sektor auf der Basis global organisierter Arbeitsteilung zu maximal günstigen Faktorkosten etablierte er – von willfährigen Regimen massiv befördert – ein mächtiges Akkumulationsregime „strukturierter Finanzprodukte“. Dieser Finanzkapitalismus dominiert den produktiven Sektor, stellt ihn unter sein Kuratel, herrscht ihm seine Bedingungen und Profitmargen auf. Dieser „alternativlosen Ordnung“ liegt der Neoliberalismus als hoch entwickelte Ideologie und komplexes politisches Projekt zugrunde.

Dominante Ideologie

Mit dem Aufstieg des Finanzkapitalismus seit Ende der 1970er Jahre haben die herrschenden Klassen und ihre politischen Handlungsbevollmächtigten in den Regierungen den Klassenkompromiss schleichend aufgekündigt und den wohlfahrtsstaatlich organisierten Kapitalismus sukzessive zerstört. Dadurch wurde der Neoliberalismus zur herrschenden Ideologie des Kapitals, der „westlichen Wertegemeinschaft“ und der herrschenden Regime.

Der Markt

Der „freie Markt“ ist die „natürliche Ordnung der Dinge“, dies ist die Grundaussage des Neoliberalismus. Als Ideologie des Finanzmarktkapitalismus trägt der Neoliberalismus insofern religiöse Züge, als er beansprucht, „alternativlos“ zu sein. „There is no Alternative.“ (Margret Thatcher)

Tatsächlich ist der Neoliberalismus eine marktradikale Selbstimmunisierungsideologie totalitären Charakters, da die Marktfreiheit und die (unregulierte) Freiheit des Finanzkapitals allen demokratischen Prinzipien vorgeordnet sind. Deregulierung, Liberalisierung und Privatisierung sind die Grundpfeiler dieser säkularisierten „heiligen Dreifaltigkeitsordnung“.

Gleichzeitig versteht sich der Neoliberalismus als Kampfauftrag gegen die westliche Demokratie, da der „freie Markt“ über dem Souverän, der Demokratie und ihren Institutionen steht. Der Staat und seine Institutionen haben dem Markt zu dienen. Es war und ist die „große Leistung“ der Neoliberalen, den „Ökonomismus“ als die neue Religion im Alltagsbewusstsein der Menschen verankert zu haben.

Der Neoliberalismus ist ein „ideologisches Chamäleon“. Er passt sich an herrschende politische und ökonomische Verhältnisse „geschmeidig“ an, um sie zu modifizieren. Damit verfolgt er das alleinige Ziel: Er will die Dominanz des Marktes herstellen. Von großer Bedeutung ist dabei die Integration der Argumente seiner Kritiker, die er marktgerecht zu transformieren versteht, indem er sie in moderne Management-, Controlling- und Governance-Strategien integriert.

Freiheit

Freiheit ist der zentrale Kampfbegriff der Neoliberalen. „Freiheit“ ist dann verwirklicht, wenn sich die Märkte ohne Hindernisse durch gesetzliche (zum Beispiel Sozial- und Umweltregulierungen) oder sonstige Friktionen wie Arbeitnehmerorganisationen, Zölle, Kontingente, politisch motivierte Sanktionen „frei“ entfalten können. Zudem müssen sich Konzerne sowie Individuen [Oligarchen/ Plutokraten] ungehemmt zu Lasten Dritter, der Allgemeinheit oder der Natur bereichern können.

„Freiheit“ oder auch individuelle Freiheit im Sinne der Neoliberalen ist dann verwirklicht, wenn die Freiheit des Marktes in all ihren Formen als Waren-, Dienstleistungs-, Kapital- und Arbeitsmarktfreiheit und der Zugriff des Kapitals auf das kollektive Eigentum (Staatseigentum) durch Privatisierung und auf den Reichtum der Natur sicher gestellt ist. Der Freiheitsbegriff der Neoliberalen hat mit der Freiheit des Individuums auf Verwirklichung und Selbstentfaltung nichts zu tun. Es handelt sich um einen pervertierten Freiheitsbegriff.

Wettbewerb: total und imperial

„Wettbewerb“ ist das neoliberale Mantra. „Wettbewerb“ steht für das kapitalistische Verdrängungsprinzip. Alle „Marktteilnehmer“, vom Individuum über Großunternehmen, Kommunen, Regionen, Bundesländern bis hin zur internationalen Staatengemeinschaft haben sich dem „Wettbewerb“ zu unterwerfen. Sich dem „Wettbewerb“ zu stellen, bedeutet nicht „gesunde Konkurrenz“ zum Wohl des Verbrauchers beziehungsweise der allgemeinen Wohlstandsmehrung, sondern vielmehr

  1. die Eingliederung in den globalisierten Markt,
  2. die (auch gewaltsame) Öffnung der „dem freien Spiel der Marktkräfte” und damit der hemmungslosen Kapitalakkumulation/Profiterwirtschaftung (durch bestehende Handelshemmnisse) noch nicht offen stehenden nationalen Märkte,
  3. die Unterwerfung unter seine Bedingungen, sein Diktat, und
  4. das Niederkonkurrieren und Vernichten Schwächerer im täglichen Kampf.

So bestimmen „Übernahme- und Abwehrschlachten“ das Geschehen.

„Alle gegen alle“, „jeder gegen jeden“ ist das als „Wettbewerb“ kaschierte neoliberale Grundprinzip des entsolidarisierten Gesellschaftsmodells und totalen Wirtschaftskrieges.

Solidarisches, demokratisches Handeln sowie ein Leben im Einklang mit der Natur gelten grundsätzlich als „Markt“ verzerrend, da sie das „freie Spiel der Marktkräfte“ und die „unsichtbare Hand des Marktes“ behindern. „Wettbewerb“ ist Ziel, Strategie, und Selbstzweck in einem, denn die neoliberalen Ideologen akzeptieren keine ethischen Verpflichtungen oder Beschränkungen des Marktes. Darum ist der Geltungsanspruch des neoliberalen, marktradikalen Wettbewerbsprinzips total und imperial. Es erstreckt sich auf den politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Raum.

Auf der ökonomischen Ebene ist das Ziel, durch Konzentrationsprozesse „Champions“ und „Global Player“ zu schaffen, damit diese auf den Weltmärkten im Kampf der Giganten „ganz oben mitmischen können“. Der neoliberale Staat und die EU sichern diesen Eroberungs- und Vernichtungskampf auch militärisch ab: „militarisierter Neoliberalismus“.

Kampf-, Herrschafts- und Selbstbehauptungsideologie

„Reichtum ist das Ergebnis von Leistung.“
Das ist ein weiterer Leitspruch der neoliberalen Ideologen. Es geht nicht um Wohlstand für alle! Das Gegenteil ist der Fall: Im Neoliberalismus erfolgt Führung durch „Eliten“ und geschlossene Herrschaftszirkel, Experten/Technokraten, Senate, Direktorien, Netzwerke und geheime Bünde.

Diesem Führungsanspruch liegt die sozialdarwinistische Ideologie des „Sieges der Starken“ zugrunde. Demokratie ist für diese „Elitezirkel“ eine permanente Bedrohung ihrer Herrschaftsbastionen. Es ist die „große Leistung“ der Neoliberalen, eine (neue) klassenbasierte Herrenmenschenideologie unter dem Deckmantel eines umdefinierten Demokratie- und Freiheitsbegriffs geschaffen zu haben.

Droh-, Selektions- und Ausmerzideologie

„Armut ist Ergebnis von Faulheit“:
Die, die sich „im Wettbewerb“ nicht bewährt haben, werden als die Schwachen, Dummen, Armen und Faulen abgestempelt; diejenigen, die nicht mehr mitmachen können oder wollen, werden ausgegrenzt oder mit „Absturz“ bedroht; die „Ausgeschiedenen und Überflüssigen“ werden nach unten getreten, denunziert und gedemütigt. Sie sollen auch unten bleiben. Sie sind nutzloser „Humanschrott“, der sich selbst überlassen bleibt und – wie in den USA und England bereits weitgehend verwirklicht – nur noch rudimentäre staatliche Hilfen in Anspruch nehmen können soll.

Die Inanspruchnahme staatlicher Hilfen wird zunehmend zu einem Spießrutenlauf in den Behörden, den nur gewinnen kann, wer sich seinen von der Exekutive und widerrechtlich beschnittenen Rechtsanspruch erkämpft:

Die neoliberalen Täter zerstören Millionen Menschen die Arbeit, drängen sie in minderwertige beziehungsweise schlecht bezahlte und prekäre Jobs. Und damit nicht genug: Anschließend machen sie diese noch zu Opfern ihrer Denunziationen und Herrschaftspraktiken.

Die neoliberalen „Eliten“ organisieren die schleichende Vernichtung der „Ausgeschiedenen und Überflüssigen“. Ihre Ausmerzstrategie ist ein implizites, kein explizites Anliegen: Die Menschenwürde der „Überflüssigen“ soll zerstört und ihr frühzeitiges Ableben unter anderem durch höhere Renteneintrittsalter und eine zunehmend privatisierte „Gesundheitsversorgung“ erreicht werden.

Darum verweigern die neoliberalen Täter ihnen den Zugang zu menschenwürdig bezahlter Arbeit, bezahlbarem Wohnraum, komplikationsfreien Zugängen nicht nur zur Gesundheitsversorgung, sondern auch zur Bildung. Dabei achten die Akteure stets darauf, ihr Treiben auf der Basis von „Experten“-Kollektiventscheidungen abzusichern, um sich der individuell zuschreibbaren Verantwortung zu entziehen.

Totale Inwertsetzung, Reichtumsumverteilung und Verrechtlichung

Ziel der Neoliberalen war seit den 1970er Jahren die „Entfesselung“ des Kapitalismus aus seinen regulativen Beschränkungen, die gesetzliche Förderung der Finanzakteure und die Umlenkung der volkswirtschaftlichen Wertschöpfung in die Taschen weniger, im Klartext: die Einkommenskonzentration. Die Ausplünderung der Gesellschaften sowie die Eigentumsübertragung des gesellschaftlichen Reichtums an Private stehen im Zentrum ihres Interesses.

Fortan gilt: Das Finanzkapital beutet alles aus, was geeignet ist, Profite abzuwerfen. So gehören unter anderem hemmungslose Spekulation, Steuer-„Reformen“, Vermögensumverteilung, organisierte Steuervermeidung mit Hilfe krimineller Elemente innerhalb der Regierung, Raub durch Privatisierung zum Repertoire, um die Gesellschaft systematisch zu verarmen.

Intakte Systeme werden bis an den Rand ihrer Funktionsfähigkeit ausgepresst und als zerstörte Systeme hinterlassen (vergleiche die Dauerkrise der Bundesbahn). Lock-in-Verträge, WTO, EU mit Aquis Communitaire, imperiale Global Europe Strategie, Freihandelsabkommen, die systematische Übertragung von Entscheidungsprozessen von der nationalen auf die entdemokratisierte EU-Ebene sollen durch Verrechtlichung das neoliberale Projekt unumkehrbar machen.

Der „neue Mensch“: Markt-Homunculus in der gesteuerten Öffentlichkeit

Der konformistisch-ökonomistisch und idiotisiert-funktionalisiert verformte Markt-Homunculus entspricht dem Menschenbild der Neoliberalen. Sie wollen den „neuen Menschen“ schaffen: Dieser darf sich nur innerhalb des gesetzten Rahmens der kapitalistisch-neoliberalen Ordnung „verwirklichen“, vor allem darf er den gesetzten Rahmen des Laufstalls organisierter Beschränkung, Verblödung und geistiger Enge nicht erkennen und schon gar nicht verlassen.

Die Herrschaftsträger setzen alles daran, dass der Mensch nicht befähigt wird, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen. Er soll gehorchen, funktionieren, keine Fragen stellen und sich der „freien Marktordnung“ und ihren „Wahrheiten“ hingeben. Seine einzige Funktion besteht darin, selbst zum Träger der neoliberalen Ideologie zu werden.

Er soll minimale Kosten verursachen – und soweit ökonomisch teilhabefähig – maximal konsumieren und für den Fall des „selbstverschuldeten“ Ausscheidens aus dem Markt – als dann lebensunwerter „Sozialschmarotzer“ – maximal frühzeitig aus dem Leben scheiden.

Parallel zur schleichenden Idiotisierung breiter Bevölkerungsschichten verläuft die selbstverschuldete Infantilisierung durch ignorantes Wegschauen und Ausblenden. Als besonders lernresistent erweisen sich oft finanziell „besser gestellte“ Akademiker, die ihren politischen Horizont aus den Meldungen in Zeit, FAZ, SZ, Welt, Spiegel oder taz beziehen. Ihr Dasein reduziert sich hier zumeist auf Karriere- und Urlaubsplanung sowie Lifestyle. Politische Ignoranz sowie das Nachbeten des Mainstreams ist die Regel.

Staatsfunktion und Demokratie im Neoliberalismus

Der Staat steht in den Diensten des Marktes, es ist seine einzige Aufgabe, neue Märkte zu erschließen und dem (Finanz-)Kapital die bestmöglichen Rahmenbedingungen bereitzustellen.

Normen, Gesetze, Regulierungen und demokratische Aktivitäten, die in das „freie“ Marktgeschehen eingreifen, beispielsweise Sozialstandards, Umweltgesetze, Kapitalregulierungen, Gewerkschaftsaktivitäten, die Teilhabe der Arbeitnehmer am Produktivitätsfortschritt, Bürgerengagement, sind angeblich „marktverzerrend“. Daher müssen sie intensiv gegebenenfalls mit polizei-staatlich und mit diktatorischen Mitteln bekämpft werden.

Die Demokratie auf der Grundlage der Volkssouveränität ist den Neoliberalen zuwider. Sie wird allenfalls solange toleriert, als „der Souverän“ nicht gegen seine Fremdsteuerung durch die Techniken der Bewusstseinsindustrie, seine Unterwerfung unter die Maximen der eigentumsbasierten Profitmehrung aufbegehrt.

Marktfreiheit und Herrschaft der neuen Plutokraten müssen in jedem Fall unangetastet bleiben. Bei zu hohem Demokratieanspruch kommen Polizei, das Militär oder die NATO zum Einsatz.

Demokratie ist nach Auffassung der neoliberalen Ideologen dann verwirklicht, wenn alle Wirtschaftssubjekte die Chance haben, am Marktgeschehen teilzunehmen. Die Menschen haben sich nicht in die „freie Marktordnung“ einzumischen, sie sind einzig und allein Marktteilnehmer – darüber hinaus Untertan. Den Neoliberalen reicht für das Funktionieren ihrer Form der Pseudo-Demokratie, dass die Institutionen der bürgerlich-parlamentarisch-repräsentativen Demokratie formal in Takt bleiben. Die fundamentale Transformation der Parteien sowie des Staates und seiner Institutionen hin zu lobbygestützten scheindemokratischen Herrschaftskonfigurationen begrüßen sie als Erfolg des Klassenkampfes von oben.

Schleichender Staatsstreich

Die Neoliberalen wollen einen anderen Staat. Sie bekämpfen den Sozialstaat und die demokratische Partizipation der Bürger. Da sie den blutigen Staatsstreich und den unkalkulierbaren Bürgerkrieg vermeiden wollen (wie in Chile), lassen sie sich für ihr Projekt sehr viel Zeit.

Aus der „schöpferischen Zerstörung“ der alten Ordnung und der Aufkündigung des Gesellschaftsvertrages des auf sozialen Ausgleich bedachten keynsianischen Sozialstaates soll ihre neue marktradikale Herrschaftsordnung erwachsen. In dieser wird jeder Gleichheitsanspruch aggressiv bekämpft. Die politischen „Eliten“ rekrutieren sich aus dem Personalpool der neoliberal gleichgeschalteten Parteien und werden durch externe „Berater“ gestärkt.

In den weitgehend geschlossenen Systemen ihrer Steuerungs-Netzwerke sorgen sie dafür, dass ausschließlich sie „das Sagen haben“. Sie „kapern“ den Staat und unterwerfen ihn der neoliberalen Ordnung.

Faktisch installieren sie langsam, aber stetig eine marktradikale (Wirtschafts-)Diktatur hinter scheindemokratischer Fassade. Bislang verzichteten sie lediglich weitgehend auf breit angelegte, offene Repression.

Installierte demokratiefreie „Experten-Regime“ im kollabierenden europäischen Süden kündigen eine neue Regierungsform an. Parteien und deren Regierungen umgehen das Repräsentationsprinzip und sind stattdessen die „vom Volk gewählten“ Repräsentanten der Finanzindustrie und anderer Großwirtschaftsinteressen. Diese Repräsentanten einer neuen Lobbykratur stellen dem (Finanz-)Kapital die bestmöglichen Rahmenbedingungen für deren „Wirken“ zur Verfügung.

Staatsumbau und Umgründung des Rechtsstaates

Auf dem Weg, den demokratisch verfassten (gleichwohl kapitalistisch fundierten) Wohlfahrtsstaat umzubauen, transformieren die neoliberalen Akteure auch den Rechtsstaat. Das heißt: Die Exekutive wird, wo immer möglich, gestärkt, die Legislative via externalisierter Entscheidungs- und Expertengremien schleichend entmachtet und die Judikative systemkonform auf Linie gebracht.

Bei den zumeist staatstragenden, autoritätsorientierten Juristen sind hier in der Regel keine größeren Anstrengungen erforderlich.

Der demokratische Verfassungsstaat mutiert zum Wettbewerbs-, Kontroll- und Gewährleistungsstaat. Da die Führung des Staates und der Wirtschaft ausschließliches „Eliten“-Projekt ist, definieren allein die „Eliten“, welche Rechtsinterpretation die herrschaftsadäquate, dem Markt dienliche, ist.

Wo dies nicht möglich ist, wird das „Recht“ marktkonform zugerichtet.

Die Folge ist ein tief greifender Rechtsnihilismus der „Eliten“ gegenüber dem demokratischen Verfassungsstaat, da sie „rechtsfreie (Herrschafts-)Räume“ für sich beanspruchen. Dieser Rechtsnihilismus ist integraler Bestandteil des neoliberalen Staatsumbaus. Die systematische Erosion der Dritten Gewalt beschneidet die Bürger in fundamentalen Rechten.

Der von „Sozialballast befreite“ und von demokratischen Bürgerrechten „entschlackte und verschlankte Staat“ ist der Staat der Neoliberalen. Die neoliberalen Akteure haben die bürgerliche Demokratie zum schwachen Staat für die Bürger aber zum starken „Markt-Staat“ und Gewalt-Staat exklusiver Gruppen transformiert, der als Gewaltmonopolinhaber exklusiv in ihrem Klassensinne tätig wird.

Dieser Staat ebnet den Wirtschaftsmächtigen das Terrain, er ist ihr Partner. Bespitzelung, Überwachung und innere Aufrüstung werden zur „Daseinsvorsorge der herrschenden Kaste in eigener Sache“, denn sie müssen sich vor potentiellen Aufständen schützen. Die militärische Aufrüstung sichert ihr imperiales Projekt nach außen ab.

Das wichtigste „Hebel“-Ministerium für den „marktradikalen Staatsstreich“ ist das Finanzministerium. Steuerentlastungen und Abgabenumverteilungen zu Gunsten von Unternehmen und Reichen erfolgen mit dem Ziel – oder zumindest billigend in Kauf genommenem Effekt – der systematischen Verarmung des Staates, der Länder und Kommunen. Die Ausrufung des Haushaltsnotstandes: „Die Kassen sind leer“, ist geplante Politik und flankiert den selbstverschuldeten Sparzwang.

Es ist ein Grundmuster der neoliberalen Strategen, ständig „Sachzwänge“ zu konstruieren, um neoliberale „Lösungen“ als Ausweg aus den (selbst verursachten) Miseren anzubieten. So schleifen sie den Sozialstaat, privatisieren Staatseigentum, schränken die Bürgerrechte ein, bauen die Demokratie auf breiter Front ab und führen neue Kriege.

Die Begründung zur Steuerentlastung von Unternehmen und Reichen war und ist stets, sie würden in die Wirtschaft investieren und damit auch Arbeitsplätze schaffen. Fakt ist, dass die Masse der nicht besteuerten Gewinne respektive des Vermögens dazu genutzt wurden, in Finanzprodukte zu investieren und nicht in den produktiven Sektor.

Neokonservatismus und modernisierter Faschismus

Die radikalere Variante des Neoliberalismus ist der Marktradikalismus, der unter Ausschaltung der „Marktkräfte“ die Allgemeinheit vollständig für das Finanzkapital in Geiselhaft nimmt, siehe „Bankenrettungen“. Realiter sind heute die Neokonservativen, auch NeoCons genannt, die soziokulturelle und (geo-)politische zweite Seite der Medaille des herrschenden marktradikalen Kapitalismus. Dass heißt, die westlichen politischen Führungen, Systemparteien und -Medien sowie Funktionseliten sind durchgängig eine unterschiedliche Mélange aus NeCons und Neoliberalen.

Die NeoCons spielten darüber hinaus vor, in und seit der Zeitenwende 9/11 eine bedeutsame Rolle. Sie sind verantwortlich für die Konzeptionen des totalen Staates im Ausnahmezustand unter Ausschaltung aller Bürgerrechte: COG = Continuity of Government genannt (Siehe hierzu die Arbeiten von Peter Dale Scott). Die Mitwisserschaft, Beteiligung oder sogar maßgebliche Planung der Anschläge durch die NeoCons kann nach heutigem Forschungsstand als weitgehend plausibel angesehen werden.

Der „War on Terror“ war die lange vor den Anschlägen vorbereitete Variante des „nie endenden, nieder schwelligen Krieges“, der in alle Weltregionen – vornehmlich der muslimischen Welt – getragen werden sollte.

Rohstoffreiche Länder werden chaotisiert, Bodenschätze und Meeresengen unter Kontrolle gebracht. Bei der Re-Installation des Kalten Krieges 2.0, der Revitalisierung von Feindbildern wie der böse Russe oder die gelbe Gefahr und der militarisierten US-amerikanischen (westlichen) Vorherrschaft waren und sind die neokonservativen Ideologen die entscheidenden Drahtzieher. Die systematische Angst- und Schreckensproduktion nach innen durch „überall lauernde“ Terroristen, aber auch vor dem ganz großen 3. Weltkrieg versetzen weite Teile der Gesellschaft in Angst- und Handlungs-Starre.

Der nicht-ängstliche Teil der Bevölkerung wie das kritische Bürgertum und Linke wird isoliert. Über transatlantische Netzwerke/Think Tanks – mit immensen Finanzmitteln der Plutokraten ausgestattet – haben es die NeoCons über Jahrzehnte hervorragend verstanden, ihre ideologischen Statthalter in den maßgeblichen Führungspositionen der NATO, der EU-Nationalstaaten und in der EU-Bürokratie/Kommission zu installieren. Ziel der NeoCons ist:

  • die Herrschaft des Kapitals und der Plutokraten unter US/EU-Führung,
  • die Totalprivatisierung des gesellschaftlichen Reichtums,
  • die Kontrolle der Ressourcen wie Öl/-Gasquellen beziehungsweise Pipelines, Nachschubwege und der Wertschöpfungsketten,
  • die totale Herrschaft in den Einzelstaaten durch ihre Ideologieträger in den Regierungsapparaten und durch ihre Satrapen wie anglo-amerikanische Anwalts- und Beratungsunternehmen, unter anderem im deutschen Finanzministerium, Kriegsministerium,
  • die Zerstörung der Bürgerdemokratie, unter anderem durch die Installation anonymer Apparate in einer EU-Diktatur,
  • der Staat im Ausnahmezustand als Überlebensgarantie für die herrschenden Klassen und Politkasten,
  • die Totalüberwachung,
  • die Totalkontrolle der Medien,
  • der moderne Kriegsstaat wie in den USA.

Die politische Schmutzarbeit der Neokonservativen verrichten heute auch Frauen. Doch diese agieren im „politischen Führungsgeschäft“ – nach Herstellen von „Gendergerechtigkeit“ – nicht minder verkommen und skrupellos als ihre männlichen Vorbilder.

Ja bisweilen übertreffen sie diese sogar: Frauen in Hosenanzügen mit Rautenzeichen, bornierte Blondinen in der Cheffunktion von Kriegsministerien, als Regierungssprecherinnen der Bundespressekonferenz oder als intellektfreie Kriegsgeifer-Kader in vormals grünen Parteien, deren Geist „global-liberal-kapitalistisch und kriegsinterventionistisch“ gewendet wurde. Auch stehen Führungsfrauen in Schrumpf- Sozialdemokratien standhaft ihren Mann, wenn es darum geht, volksfeindliche Politiken zu exekutieren.

Die Politik des Berliner Politestablishments lässt sich wie folgt charakterisieren: Vereint in Demokratie- und Sozialabbau, Aufrüstung und Kriegsgeschrei.

Hat dieses Regime gemäß seines Amtseids irgendetwas Positives zu Stande gebracht?

In Artikel 56 des Grundgesetzes heißt es:
„Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe.“

Nein, hat es nicht! Das macht auch nichts, denn dieser Amtseid ist so belanglos wie überflüssig, weil ohne rechtliche Bindung.

Sowohl softe Neoliberale als auch hard-core NeoCons sind die modernisierten Diener und Förderer des totalen Marktes, des Militarismus, des Überwachungs- und Kontrollstaates und Meister in der Etablierung neuer Feindbilder, egal unter welchem parteipolitischen Label. Der Neokonservatismus ist der moderne Faschismus, besser: under-cover Faschismus, der sich vom „klassischen“ Faschismus dadurch unterscheidet, dass

  • ihm der charismatische Führer und die hoch-ideologisierte und fanatisierte Massenbasis fehlen sowie
  • die Techniken der Macht unterschwellig und klandestin, aber genau deshalb wirkmächtig und nachhaltig sind,
  • die offen staatsterroristische Diktatur (noch!) nicht praktiziert wird, aber dennoch in „Lauerstellung“ wartet.

Über den Autor

Ullrich Mies versteht sich selbst — Hinweis für Oberschlaue und Hochintelligenzler wie Klaus Lederer: „Vorsicht, Satire!“ — als „verschwörungstheoretischer und gänzlich unbelehrbarer“ Sozial- und Politikwissenschaftler. Er studierte in Duisburg und Kingston/Jamaica. Seine Interessenschwerpunkte sind Internationale politische Konflikte, Neoliberalismus, Demokratieerosion, Kapitalismus- und Militarismuskritik sowie die Erhaltung der Biodiversität. Er ist seit 1994 selbständig und lebt seit 30 Jahren in den Niederlanden, da Deutschland ihm zu spießig ist. Seit dem Jahr 2000 queruliert er als politischer Aktivist und belästigt die Herrschenden – unter anderem bei den „Unbelehrbaren für Frieden und Völkerverständigung“, deren Gründungsmitglied er ist. Unter anderem schreibt er für Rubikon und die Neue Rheinische Zeitung. 2017 erschien von ihm als Mitherausgeber „Fassadendemokratie und Tiefer Staat: Auf dem Weg in ein autoritäres Zeitalter“.

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