Schuldengebirge, Helikoptergeld oder Umsatzprovisionen von e4m

Unser neuer Telepolis-Artikel (eingereicht am 20.04., veröffentlicht am 17.05.20) erläutert 5 Optionen der finanziellen Krise der Corona-Maßnahmen:

  1. Schuldengebirge / weiter wie bisher
  2. Transferunion
  3. Gemeinschaftsschulden
  4. Umsatzprovisionen / Steuersystem von economy4mankind
  5. Helikoptergeld

Leider fehlt bei Telepolis unsere eingereichte Ergänzung anlässlich des Urteils des Bundesverfassungsgerichts, in dem manche ein Gegenargument gegen Helikoptergeld sehen.

Dies ist die eingereichte, aber nicht veröffentlichte Ergänzung:

Mit dem Urteil 2 BvR 859/15, 2 BvR 980/16, 2 BvR 2006/15, 2 BvR 1651/15 des Bundesverfassungsgerichts vom 05. Mai 2020 stellt sich auch die Frage, ob Helikoptergeld, das die EZB verteilen würde, mit Deutschlands Grundgesetz vereinbar ist. Dieses Urteil wird nun von vielen Seiten instrumentalisiert, um andere als die eigene Meinung zu delegitimieren. Dabei sind drei Dinge relevant: Was genau besagt das Urteil? Ist das Bundesverfassungsgericht überhaupt legitimiert, ein solches Urteil zu sprechen? Und wird es die Bundesregierung überhaupt interessieren?

Das Urteil besagt lediglich, dass die Bundesregierung und der Bundestag von der EZB eine umfassendere Prüfung und Begründung der Verhältnismäßigkeit des Staatsanleihekaufprogramm hätten verlangen müssen. Die Urteilsbegründung ist schon einmal insofern erstaunlich, als die Bundesregierung die EZB beim Staatsanleihekaufprogramm stets ausdrücklich unterstützte. In der Stellungnahme der Bundesregierung von 2018 stand unmissverständlich, dass ihrer Ansicht nach „das umstrittene Staatsanleihekaufprogramm nicht gegen Artikel 123 des EU-Vertrags (Verbot der monetären Staatsfinanzierung) verstößt, und auch nicht gegen das Prinzip der begrenzen Einzelermächtigung.“

Zudem ist erstaunlich, dass die Richter offiziell meinen, der Bundestag habe eine andere Funktion als die eines Abnick-Vereins. Wann gab es in der Geschichte der Bundesrepublik je eine Entscheidung des Bundestags gegen den Willen der Regierung? Siehe Wolfgang Koschnick: “Eine Demokratie haben wir schon lange nicht mehr“.

Selbst wenn die Urteilsbegründung schlüssig wäre, wäre es eine reine Formsache von Bundesregierung und ihrem parlamentarischen Appendix vermiformis (Blinddarm), der Forderung des Bundesverfassungsgerichts pro forma Genüge zu tun. Gut möglich ist auch, dass die Bundesregierung dieses Urteil aus genau diesem Grund als irrelevant ignoriert. Sicher ist nur, dass sich nichts am Staatsanleihekaufprogramm ändern kann, so lange die Entscheider am Euro festhalten. Wird das Staatsanleihekaufprogramm beendet, bleibt den schwächeren Euro-Ländern – allen voran Griechenland und Italien, aber auch Frankreich ist ein Kandidat – gar nichts anderes übrig, als entweder ganz aus dem Euro auszutreten oder zumindest wieder die alte eigene Währung als Parallelwährung einzuführen (siehe oben, Option 3).

Man stelle sich zum Beispiel Deutschland mit einer D-Mark vor, die um ein Drittel aufwertet, und Frankreich, Italien, Spanien & Co. Mit Währungen, die um ein Drittel abwerten. Aus einer 1:1-Währung würde ein 2:1-Wechselkurs. Das würde die Export-abhängige Bundesrepublik in eine schwere Krise stürzen. Es ist nicht erkennbar, dass das Bundesverfassungsgericht die ökonomischen Folgen seiner Forderung durchdacht hat. Da der Euro von der Bundesregierung jedoch aus genau diesem Grund nicht fallen gelassen wird, ist diese „Bombe“ nur eine Knallerbse.

Bemerkenswert ist auf jeden Fall, dass das Bundesverfassungsgericht die juristische Hierarchie in der EU infrage stellt. Es betrachtet die Entscheidung der Europäischen Gerichtshofs (EuGH) als „ultra vires“, also außerhalb seiner Kompetenzen liegend. Das wirft interessante Fragen auf: Ist das Staatsanleihekaufprogramm der EZB eine EU-Angelegenheit, eine Angelegenheit der Euro-Gruppe, oder vorrangig eine Frage der nationalen Souveränität? Welche Relevanz haben die EU-Verträge, die zum Beispiel (im Masstricht-Vertrag) eine Staatsfinanzierung der EZB ausschließen, überhaupt eine Rolle, wenn sie doch ständig ignoriert werden? Hat das Bundesverfassungsgericht die Kompetenz, über die Handlungen von Organen der EU zu entscheiden, oder urteilt es selbst „ultra vires“, zumal die Bundeskanzlerin als Regierungschefin im Europäischen Rat sitzt, Teil des mächtigsten EU-Organs ist und als solcher den Kurs der EZB unterstützt bzw. mit steuert?

Randnotiz: Wenn dieses Urteil so ein dringendes Thema bewertet – warum hat das Verfahren dann sage und schreibe 5 Jahre gedauert? Wäre bei einem Billionen-Euro-schweren angeblichen Problem keine höhere Bearbeitungsgeschwindigkeit geboten gewesen?

Im Kontext von EU-Helikoptergeld ist dieses Urteil jedenfalls kein Hindernis. Wer etwas will, findet Wege. Wer etwas nicht will, sucht nach Gründen.