Freifahrtschein für Atomkonzerne

Welche Kriterien machen einen Korruptionsfall zum größten aller Zeiten? Die höchste Summe, um die es geht? Die meisten Beteiligten? Die folgenschwersten Entscheidungen?. Die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag trafen eine Entscheidung, die alle 3 Kriterien erfüllt: Beim „Atommüll-Freifahrtschein“ für die Atomkraftwerksbetreiber.

Der Bundestag verabschiedete im Mai 2017 ein Gesetz zur Suche nach Endlagern in Deutschland für hochgefährlichen Atommüll. AKW-Betreiber werden mit diesem Gesetz von den Folgekosten des Atommülls befreit. Der Betrag, den die Betreiber dafür zahlen, liegt noch unter den Subventionen, die sie in den nächsten Jahrzehnten erhalten. Unterm Strich zahlen sie also nichts. Alle Kosten des Atommülls tragen die Steuerzahler – für die nächsten 40.000 Generationen.

Da eine Inkompetenz von Bundesregierung und Bundestag dies nicht erklären kann, bleibt nur eine logische Schlussfolgerung: Dieses Gesetz stellt den größten Fall von Korruption in der Geschichte der Bundesrepublik dar.

In Drucksache 18/10469 des Deutschen Bundestags ist auf Seite 2 nachzulesen:

„…werden die Betreiber verpflichtet, einen Betrag von 17,389 Milliarden Euro in den mit diesem Gesetz zu errichtenden Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung einzuzahlen. Durch die Zahlung eines Risikoaufschlages von 35,47 Prozent an den Fonds können die Betreiber ihre Verpflichtung zum Nachschuss an den Fonds beenden. Der Risikoaufschlag soll die über die kalkulierten Entsorgungskosten hinausgehenden Kosten- und Zinsrisiken abdecken. Entsprechend den Empfehlungen der KFK ist davon auszugehen, dass mit vollständiger Einzahlung des Grundbetrages und des Risikoaufschlages durch die Betreiber die bislang erwarteten Kosten der kerntechnischen Entsorgung finanziert werden können.“

  • Das heißt erstens: Der Bundestag will auf 100 Euro genau (inkl. „Risikoaufschlag 23.556.878.300 €) berechnet haben, was die Endlagerung von Atommüll für rd. 1 Mio Jahre kostet. Es ist unmöglich, die Kosten seriös zu kalkulieren.
  • Zweitens liegt die tatsächliche Summe in einem Bereich, für den es nicht einmal Zahlen gibt (siehe Teil 2 dieser Serie: „Die astronomischen Kosten des Atommülls“).
  • Drittens unterschlägt der Bundestag, dass der Steuerzahler bis 2040 rd. 100 Mrd. € an die Atomkonzerne zahlt. Deshalb zahlen die AKW-Betreiber per Saldo überhaupt nichts für den Atommüll.

Unter Punkt C. schreibt der Bundestag genau 2 Worte. „Alternativen: Keine“. Aber natürlich gibt es eine Alternative. Die Alternative ist, den Atomkonzernen die tatsächlichen Kosten für 1 Million Jahre sichere Lagerung des Atommülls in Rechnung zu stellen. Und dies wird kein unterirdisches Lager sein, das man verfüllen und vergessen kann, wie wir weiter unten sehen werden. Im besten Fall wird es ein überirdisches Lager sein, dass 1 Mio. Jahre Hochsicherheitsbewachung und ein regelmäßiges Umfüllen in neue Behälter benötigt.

Ehrliche Folgekosten in Rechnung stellen

Wenn die Regierung den Atomkonzernen die ehrlichen Folgekosten des Atommülls in Rechnung stellen würden, passiert Folgendes:

  • Die AKW-Betreiber können nicht zahlen und müssen in die Insolvenz gehen.
  • Der Gläubiger – also der Staat – wird Eigentümer von RWE, EnBW, Eon, Vattenfall und den anderen AKW-Betreibern (u.a. Stadtwerke München).
  • Ein politisches Signal wird in die Welt gesetzt: Sobald man die Kosten des Atommülls in Rechnung stellt, sind die AKW-Betreiber bankrott, und jeder sieht, dass Atomkraft unendlich teurer ist als alle anderen Energiequellen.
  • Die Aktienkurse sämtlicher weltweiter AKW-Betreiber sinken auf Ramschniveau.

Die Grünen stimmen dafür

81,9% der Bundestagsabgeordneten stimmte für den Gesetzesentwurf. Union, SPD und die Grünen (82% der eigenen Partei) setzten sich gegen die Stimmen der Linken durch. Nicht nur, dass das Ergebnis der Grünen schockiert. Wie kann generell der Konsens für einen solchen Beschluss so hoch sein?

In Frage kommen nur zwei Möglichkeiten: Entweder man hat das Gesetz und seine Folgen nicht durchdacht, was entgegen jener „neuen, offenen, wissensbasierten und transparenten Suche“ zweifellos Inkompetenz bedeutet.

Oder aber diese Konsequenzen waren dem Bundestag egal und dies ist der größte Korruptionsskandal, den es in der Geschichte der Bundesrepublik jemals gab. Eindeutig am besten weg kommen nämlich AKW-Betreiber, die auch in Vergangenheit zahlreiche Geschenke der Bundesregierung erhielten, Parteitage sponserten und Beraterverträge an Politiker vergaben.

Warten auf Godot

„Jetzt kann es losgehen mit der neuen, offenen, wissensbasierten und transparenten Suche nach dem sichersten Standort für den Atommüll“ – Mit diesen Worten eröffnete Umweltministerin Hendricks eine weitere Suche nach einem geeigneten Endlager, welches „größtmögliche Sicherheit für einen Zeitraum von einer Million Jahren gewährleisten“ soll.

News für die Große Kalition: Es gibt kein sicheres Endlager für Atommüll. Das ist wie in Samuel Beckett’s  „Warten auf Godot“. Godot wird nicht kommen.

Gert Scobel fasste es in seiner gleichnamigen 3Sat-Sendung  zusammen: „Niemals zuvor hatten Menschen eine derart weitreichende Verantwortung für so viele Generationen, und vielleicht hat die Menschheit nie derart versagt. Das Märchen von den guten Atomkraftwerken basiert auf einer Lüge. Und die, die nicht wider besseres Wissen gelogen haben, haben sich selbst belogen.“

Mythos sicheres Endlager: Atomare Zeitbomben

Die Suche nach einem sicheren Atommüll-Endlager ist bereits beendet. Ergebnis: Es gibt keins.

Laut „Quarks und Co. – Atommüll: Endlager verzweifelt gesucht“ (2011) bzw. „Atommüll: Fässer ohne Boden (hier in der WDR Mediathek vom 10.11.2015) liegen allein im Atlantik rd. 250.000 Fässer Atommüll auf dem Meeresboden. Die USA, Russland und fast alle anderen Atom-Nationen betrachteten „Verdünnung im Meer“ lange Zeit als Entsorgungskonzept.

Heute lagern praktisch alle Nationen ihren Atommüll in oberirdischen Zwischenlagern. Als dauerhafte Endlager experimentieren sie seit Jahrzehnten erfolglos mit unterirdischen Stollen. Prinzipiell gibt es drei Arten von Material die ihn eindämmen können: Ton, Salz und Granit. Alle besitzen unterschiedliche Vor- und Nachteile. Über hunderttausende Jahre funktioniert keine.

Der Irrweg der Salzstollen

Die DDR lagerte ihren Atommüll seit 1971 im Salzstock Morsleben an der Grenze zur BRD. Die Bundesregierung prüft seit 1975 erfolglos die unterirdische Endlagerung in Salzstollen – zunächst im Lager „Asse“, später in Gorleben. Dort kommt er in Behältern konzentriert in Bohrungen, die anschließend einbetoniert werden. Salz bietet den Vorteil, gefährliche Hohlräume zu schließen und den Abfall zu kühlen.

Das Problem: Selbst diese Variante ist auf Dauer dem Atommüll nicht gewachsen. Innerhalb weniger Jahrhunderte ist der Behälter zerfressen. Ein anschließender Kontakt mit Wasser reicht, um alles zu Nichte zu machen. Das Salz löst sich auf, und eine radioaktive Brühe verseucht das Grundwasser.

Schon im Lager Asse II wurde auf diese Taktik gesetzt. Egon Albrecht, Technischer Leiter der Einlagerung erklärte 1975 (siehe oben bei Quarks & Co., „Atommüll: Endlager verzweifelt gesucht“, Minute 22):

„Die Salzstöcke bestehen schon seit 200 Millionen Jahren und haben sich nicht verändert. Dadurch ist sichergestellt, dass keine Verbindung zum Grundwasser besteht und keine Radioaktivität in die Umwelt gelangen kann.“

13 Jahre später brach Grundwasser in die Asse ein und zeigte, dass dieses „Endlager“ das Gegenteil einer Dauerlösung ist. 12.000 Liter Grundwasser strömen täglich in die Asse. Erreichen sie die Atommüllfässer, droht der Umwelt-GAU. Radioaktiv verseuchtes Grundwasser wurde bereits nachgewiesen.

Hoffen auf ein Wunder

Eine Garantie für den Erhalt der geologischen Struktur gibt es also nicht. Das gilt ebenfalls für Ton und Granit. Selbst verantwortliche Experten „hoffen“ nur, dass diese Einlagerungen standhalten können.

Auch wenn das Material von sich aus stabil bleibt, ergeben sich weitere Schwierigkeiten. Wer weiß in den nächsten 1 Mio. Jahren, dass an dieser Stelle Atommüll liegt und nicht gebohrt werden darf? Wer kennt sich noch mit den heutigen Technologien aus?

Außerdem wird sich die Erde geologisch in diesem Zeitraum stark verändern, was die Endlager massiv gefährdet. Bereits in einigen 10.000 Jahren sind schon nächste Eiszeiten und weitere Klimaveränderungen zu erwarten. Gesteinsschichten verschieben sich kontinuierlich weiter und werden die Endlager mit großer Wahrscheinlichkeit aufbrechen.

Der Faktor Umwelt spielt bei der Endlagersuche demnach schon mal nicht mit.

Fortsetzung in Teil 2 dieser Serie: „Die astronomischen Kosten des Atommülls“

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